Mediation Isabell Luetkehaus Berlin

CORONA UPDATE 14. April 2020: Umgang bei Patchwork

Wie gestalten Eltern den Umgang in Zeiten von Corona? Was ist noch erlaubt? Und wie sinnvoll sind Wechsel im Hinblick auf die Ansteckungsgefahr? Was bedeutet dies für Patchwork Familien? Wer gehört zur Familie?

 

Überlegung: Alleinentscheidungsbefugnis in Alltagsangelegenheiten? § 1687 BGB: neue Freundin treffen?

ZITAT

Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation, und das gilt auch im Familienrecht. Es gibt keine Präzedenzentscheidungen für Pandemien, und es gibt womöglich für ausgefallenen Umgang keinen kurzfristigen Rechtsschutz. Von allen Beteiligten ist jetzt Vernunft verlangt, und dieser Appell geht nicht nur an die beteiligten Eltern, die vielleicht zu tief in ihrem Nachtrennungskonflikt verstrickt sind, sondern auch an die beratenden Anwälte: Corona sollte keine willkommene Ausrede sein, um unliebsamen Umgang zu verweigern und Entfremdung zu betreiben.

siehe auch

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/corona-umgangsrecht-eltern-kinder-getrennt-sorgerecht-kernfamilie-patchwork/

 

ZITAT

Einen Umgang mit der schlanken Begründung „wegen Corona“ abzusagen ist also rechtswidrig – und wenn die Familie eine gerichtliche Vorgeschichte mit Titulierung und Ordnungsgeldandrohung hat, wird der Umgang vielleicht praktisch nicht schnell durchsetzbar sein, aber die Umgangsverweigerung müsste später mit einer Geldzahlung an die Staatskasse sanktioniert werden.

Was bedeutet hierbei die im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geregelte Alleinentscheidungsbefugnis in Alltagsangelegenheiten? § 1687 BGB bestimmt: Auch, wenn das Sorgerecht insgesamt ein „gemeinsames“ ist, so hat doch der Lebensmittelpunkt-Elternteil mehr zu sagen. Er kann nämlich allein all das entscheiden, was die Alltagsgestaltung betrifft. Zur Abgrenzung zu den größeren Fragen, bei denen man Einvernehmen mit dem anderen Elternteil braucht, heißt es: „Alltagsangelegenheit sind alle Entscheidungen, die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf das Kind hat.“

 

 

———

Ergänzend zu unseren letzten beiden Beiträgen lassen wir heute eine Rechtsanwältin im Familienrecht zu Wort kommen. Bei Sabine Hufschmidt gehen derzeit viele eilige Anfragen von umgangsuchenden Eltern ein und sie beschreibt für uns heute die Situation aus ihrer ganz persönlichen Sichtweise.

Seit Beginn von Corona häufen sich die Anfragen zum Thema Umgang – besorgte Mütter und Väter stellen viele Fragen:
Darf und kann ich Umgang zulassen?
Darf und soll ich Umgang ausüben?
Was ist verantwortungsbewusst?
Was ist mit unserem Kind und seinem Wohl?
Inwieweit gelten die Auflagen der einzelnen Bundesländer oder Städte und Gemeinden für Umgänge?
Eltern sind zunehmend unsicher und es herrscht eindeutig allgemeine Verwirrung statt Klarheit!
Leider auch bei manchen Anwälten, die ihre jeweiligen Mandanten und Mandantinnen beraten. Hier vermischt sich – wie so oft im Familienrecht – Recht und Moral mit Emotion; verständlicherweise.

Was wiegt mehr? Der Wunsch und Drang zwischen minderjährigem Kind und Elternteil sich dringend wieder zu begegnen – oder das Allgemeinwohl?
Was sage ich einem Mandanten und Kindesvater, der aufgrund der Verweigerung des Umgangs das Kind bereits 6 Wochen nicht mehr gesehen hat und der gegnerische Anwalt von einer „eventuellen“ Umgangsregelung nach dem 19. April 2020 mit „Augenmaß“ spricht? Was antwortet dieser Vater seinem Kind bei Facetime, wenn das Kind berichtet, dass die Mutter es mit den Nachbarskindern spielen lässt, der Vater aber nicht kommen darf um das Kind zu betreuen und zu sich zu nehmen? Wenn bereits das Kind weiß, dass die Polizei kommen würde, wenn er sich dem Haus auch nur annähert? Dies alles auch noch, wenn Vater und Mutter in unterschiedlichen Bundesländern zu Hause sind? Wo soll der Umgang dann stattfinden? Vor allem, wenn der Kindesvater im gemeinsamen Haus wiederum mit seinen – alten – Eltern lebt? Und die Anmietung von dauerhaften Zweitwohnungen oder einer sonstigen Unterkunft in manch einem Bundesland derzeit untersagt ist! Wie geht es einem Vater, der so weit weg von seinen Kindern lebt, dass der Umgang ohnehin nur einmal pro Monat und per Flugzeug organisiert werden muss und die Kindesmutter den Umgang kurzfristig absagt; wo doch die Osterferien eine Gelegenheit der entspannten Zeit sein würden?
Das Gefühl der Ungerechtigkeit und Ohnmacht ist vorhanden und steigt. Vor allem Väter sind in diesen Tagen schwer getroffen von der – Sorge oder Willkür (je nach Auffassung des Betrachters selbstverständlich) der Mütter. Es werden Termine weniger als 24 Stunden vorher abgesagt; die bevorstehenden Osterferien gestrichen. Verzweifelte Väter rufen an und brauchen Rat; doch welchen?
In den meisten Fällen konnte mit einem einfühlsamen und überzeugenden Gespräch mit der Gegenseite eine gute und zeitnahe Lösung gefunden werden. Entweder mit der jeweiligen Kindesmutter direkt – oder ihren Vertretern. In einigen Fällen muss nun das Gericht entscheiden – und hier stoßen wir leider auf die nächsten Grenzen. Denn trotz einstweiligen Verfahren – Ostern steht bekanntlich vor der Tür – wird die Frist zur Stellungnahme des Antrags auf Umgang für die Gegenseite nach Ostern gesetzt! Dies ist schlicht unsensibel und weder für den verzweifelten Vater noch das Kind oder die Rechtsvertreterin nachvollziehbar oder gar erträglich. Nach Ostern ist die Ferienregelung schließlich ad absurdum geführt!

Was könnte helfen?
Einfühlsame, eindeutige und klare Beratung pro Umgang für den jeweiligen Einzelfall durch Rechtsanwälte, Jugendamt und sonstige Beratungsinstitute. Darüber hinaus ein klares Statement pro Umgang des Gesetzgebers und deren Vertreter; die Familiengerichte müssten die einstweiligen Verfahren konsequent und unverzüglich bearbeiten und entscheiden! Elternteile sind keine Touristen! Die falsche Auslegung der vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen führt zu diesem desolaten Zustand. Hier muss unverzüglich öffentlichkeitswirksam entgegengewirkt werden, damit Kinder ihre Väter und Mütter erleben können und Umgang stattfinden kann! Es ist ein hohes Gut, welches es zu jeder Zeit zu bewahren gilt!
Vielleicht wäre es ein Thema für die nächste Ansprache der Bundeskanzlerin.

Gerade in Zeiten von Corona brauchen Kinder beide Elternteile! Umgang darf, soll und muss stattfinden!

Sabine Hufschmidt, Rechtsanwältin & Mediatorin 

 

——–

Wie gestalten Eltern den Umgang in Zeiten von Corona? Was ist noch erlaubt? Und wie sinnvoll sind Wechsel im Hinblick auf die Ansteckungsgefahr? Welche Betreuungsmöglichkeiten sind zu bevorzugen?

Am 22. März wurde bundesweit ein umfassendes Kontaktverbot beschlossen; danach dürfen, vereinfacht gesprochen, sich nur noch Angehörige zusammenfinden, die gemeinsam in einem Haushalt leben.

Was bedeutet dies für getrennte Familien, bei denen die Kinder nicht nur in einem Haushalt leben sondern von einem zum anderen wechseln bzw. den anderen besuchen? Was geschieht, wenn die Kinder übers Wochenende beim einen Elternteil waren und nun wieder zum anderen zurück gehen sollten?

Die Planung und Durchführung von Umgang mit den Kindern ist bei manchen getrennt erziehenden Eltern ohnehin schon ein sensibles Thema, die neuen Vorschriften verunsichern einige zusätzlich. Sie wissen nicht mehr, was erlaubt und was sinnvoll ist.

Rechtlich ist dies weiterhin möglich, wie der Beschluss des Senats deutlich macht, da Besuche zur „Wahrnehmung des Sorgerechts im jeweiligen privaten Bereich“ ausdrücklich erlaubt sind. Vermutlich ist damit auch gemeint, dass Umgang wahrgenommen werden kann, unabhängig vom Sorgerecht. Also dürfte Besuchen und gemeinsamen Spaziergängen mit dem anderen Elternteil, nichts im Wege stehen. Und es müssten auch Wechsel von einem Elternteil zum anderen weiterhin möglich sein, im Rahmen des Residenzmodells oder des Wechselmodells, also die Rückkehr nach dem Wochenend-Aufenthalt oder der wöchentliche Wechsel vom einem Elternteil zum gleichberechtigt betreuenden anderen Elternteil.

Gleichzeitig sollten Eltern überlegen, ob ein derzeitiger Wechsel sinnvoll ist, unter Abwägung der Ansteckungsgefahr mit dem Wunsch nach Kontakt sowie der Übernahme von Elternverantwortung. Ist das Kind beispielsweise in der Kita-Notbetreuung untergebracht, weil ein oder beide Eltern systemrelevanten Aufgaben nachgehen oder ist ein oder sind beide Eltern beruflich weiterhin in ständigem Kontakt mit anderen Menschen, z.B. als Ärztin oder Kassierer, dann könnte ein Kind, das selbst keine Symptome zeigt, den Virus von einer Familie in die andere tragen. Bei Patchwork-Familien sogar noch in eine weitere, so dass es größere Kreise ziehen könnte.

Ein wichtiger Faktor kann daher die Gewährleistung einer sicheren Betreuung sein: müsste ein Kind in die Kita-Notbetreuung gebracht werden, wenn es bei dem Elternteil bleibt, bei dem es gerade ist, weil dieser nicht im Home Office arbeiten kann, dann könnte ein Wechsel zum anderen Elternteil sinnvoll sein. Ansonsten könnten zunächst Möglichkeiten des virtuellen Kontakts genutzt werden und die Wechsel seltener stattfinden, um die Ansteckungsgefahr zu minimieren, und um abzuwarten, wie sich die Corona Krise die nächsten Wochen entwickeln. Und doch ist für Kinder auch der persönliche Kontakt, die Berührung und das tatsächliche Miteinander im Alltag in einem Haushalt sehr wichtig – hier gut abzuwägen ist nun eine Aufgabe von Trennungseltern.

War das Kind beispielsweise übers Wochenende beim Vater und arbeitet dieser im Home Office und könnte eine Kinderbetreuung auch ab Montag gut leisten, dann bestünde die Möglichkeit, dass einer Ferienregelung ähnlich das Kind noch einige Tage bei ihm bleibt, passend je nach Kindesalter und sämtlicher Begleitumstände. Umgekehrt kann es sinnvoll sein, dass das Kind nicht zu einem Elternteil wechselt, der eigentlich dran wäre, aber arbeiten gehen muss und bei ihm als Betreuung nur die Not-Kita in Frage käme. Dann kann es sinnvoller sein, der andere Elternteil betreut das Kind noch einige Zeit weiter und Umgangskontakte werden individuell besprochen.

Diese besondere Situation der Corona Krise kann Sonderregelungen und neue Formen der Eltern-Kooperation verlangen, hierbei sollte neben dem Wunsch nach Kontakt, die Ansteckungsgefahr und die Möglichkeiten der Betreuung miteinander abgewogen werden.

Das Jugendamt von Friedrichshain-Kreuzberg hat einen Leitfaden zur Regelung von Kindesumgängen während der Corona-Zeit entworfen, worüber der Tagesspiegel am 28. März berichtet:

  1. Demnach wird empfohlen, die Umgänge wie gewohnt durchzuführen, um die Kinder nicht noch weiter zu verunsichern. Durch den Wegfall von Kita und Schule als wichtige entwicklungsfördernde Sozialstrukturen seien die Kinder ohnehin verunsichert und bräuchten daher Gewissheit, dass wenigstens im nahen familiären Umfeld die Alltagsstrukturen erhalten bleiben, so das Jugendamt.
  2. Um die Gesundheit der Kinder nicht zu gefährden, gebe es allerdings in besonderen Fällen Ausnahmen, bei denen befristet die Umgänge ausgesetzt werden sollten. Gründe dafür wären:
    – eine nachgewiesene Infektion des anderen Elternteils oder der mit im Haushalt lebenden Personen mit dem Coronavirus, oder Symptome, die auf eine Infektion hindeuten,
    – eine akute Erkältung des anderen Elternteils mit häufigem Husten oder Schnupfen,
    – eine nachgewiesene Infektion des Kindes mit dem Coronavirus
    – sowie ein längerer Kontakt des anderen Elternteils mit einer infizierten Person, zum Beispiel im Arbeitsumfeld.